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Camp 21 - Ein Camp für Powerleute und Streifenhörnchen...

vom 01. - 14. Sept.07

von Eveline Dudda

Nun ist es vorüber. Vorbei die Zeit, in der wir schwere Rucksäcke durch sibirische Wälder schleppten, jetzt ist Schluss mit den Mückenplagen, kein Rauchgeruch hängt mehr in unseren Kleidern. Das WC-Papier ist wieder weich und reisst genau dort, wo es soll. Das Frühstück ist wieder Kiefern-Nadeln-frei, die Milch kommt nicht mehr aus der Dose und wenn ich weiterhin so viel esse, brauche ich die drei zusätzlichen Löcher im Gürtel auch schon bald nicht mehr… Das GBT-Camp 21, der Trailbau von Bargusin zum Chivyrkuiskyi Gulf ist nicht mehr Gegenwart, sondern nur noch Erinnerung - wenn auch eine recht lebendige.

Wir waren ein aufgestelltes Team: Mario, Stefan, Carsten, Johanna und Wolodnja aus Deutschland, wobei letzterer zusätzlich noch einen russischen Pass hatte (wenn auch nur bis zu dem Zeitpunkt, an dem er ihn verlor). Mit dabei war auch der in Irland lebende Norweger Rolf, die EngländerInnen Marianne, Anthony und Jessica; Danielle und Eliza aus den USA; Susan aus Finnland; Igor II aus St.Petersburg und die Einheimischen Igor I (unser Chef), Tanja (Übersetzerin und Animatorin) und Olja (Essenmanagement inklusive Süssigkeiten). Hab ich jemanden vergessen? Ach ja: Guido und ich, Eveline, vertraten die Schweizer Fraktion.

Für die Einen war's Arbeit...
Für Igor I, Tanja und Olja bedeutete das Camp Arbeit – für den Rest von uns war es Freizeitbeschäftigung. Wobei, Halt: Susan, die Journalistin, war eigentlich beruflich da. Ihr Auftrag war es eine Reportage über unser Camp zu schreiben. Ehrlich gesagt, tut sie mir ein wenig leid, die arme Susan. Sie hat es wirklich schwer. Nicht nur weil sie eine professionelle Fotoausrüstung mit sich rumschleppen musste – das taten andere schliesslich auch. Ohnehin spielte das bei den Gewichten, die uns sonst so aufgeladen wurden, keine grosse Rolle mehr... Nein, Susan, die Arme, sollte eine spannende Reportage verfassen. Eine packende Story darüber, was passiert, wenn sich zivilisations-verhätschelte Westler auf ein 14-tägiges Nomadenleben mit Unbekannten in die südsibirische Wildnis begeben. Eine Geschichte über gruppendynamische Prozesse, über den Umgang mit Aufstiegen unter erschwerten Bedingungen, über Arbeitshaltungen und den Umgang mit divergierenden kulinarischen Ansprüchen. Wir machten es ihr nicht gerade leicht – denn wir machten auf Harmonie.

Das war zwar keine Absicht. Es hat sich halt so ergeben, ehrlich, ich schwör's! Natürlich hätten wir jede Menge Konflikte haben können. Wir hätten zum Beispiel wegen der Zusatzladung "Essen + Werkzeug" streiten können. Hätten mit der Grammwaage austarieren können, wer denn 6,1 oder 5,9 Kilo (Frauen) oder 8,3 und mehr Kilo (Männer) tragen soll. Wir hätten demonstrativ alles zurücklassen können, was unseren Rucksack schwerer als 33 (bzw. 25) Kilo machte. Wir hätten auch - weit dramatischer – unter der Last im Aufstieg zum Pass zusammenbrechen können. Röchelnd und stöhnend, fluchend, uns ans Herz fassend, mit dem schweissgetränkte T-Shirt über das Gesicht fahrend sagen können: "Ich kann nicht mehr." Doch wir konnten. (Auch wenn wir uns am Anfang nicht ganz so sicher waren.) Und wir wollten (das stand fest). Alle! Und wir lachten sogar noch dabei – auch alle! (Wenn auch nicht immer alle gleichzeitig.) Ich glaube, manche genossen die Plackerei sogar – und jeden Tag wurde es leichter. Und jeden Tag gab es neue fantastische Landschaftseindrücke zur Belohnung. Es war oftmals traumhaft schön. Das waren die Abende ohnehin: Das Singen, die Spiele, die Gespräche. Lachen, Lagerfeuer, Tee trinken – gibt es was Schöneres auf der Welt?

Den Anweisungen unseres zurückhaltenden Chefs, der engagierten Essensmanagerin oder der herzlichen, liebenswerten Animateuse haben wir stets Folge geleistet. Wieso auch nicht? Wir waren ja schliesslich da um mitzumachen. Hierarchie-Kämpfe? Lasche Arbeitshaltung? Schleppender Einsatz? Also ich erinnere mich jedenfalls nicht an derartige Szenen. Verletzungen, Unfälle? Gab’s nicht. Ein paar Kratzer, ein paar Stiche, meistens von Mücken, manchmal von Wespen. Ein Fuss der sich vertreten hat. Und dass Igor II einmal durch eine "Brücke" einbrach das bekamen nicht einmal alle mit, so schnell hatte er sich wieder gefangen. Und das war’s auch schon an Unfällen. Nichts ging kaputt ausser einer Zeltstange und den Handbeilen, aber die konnte man flicken.

(Kein) Feuer unterm Dach...
Als es nach ein paar Tagen Russpartikel aufs Zeltdach regnete und die Luft rauchgeschwängert war – noch bevor unser Lagerfeuer brannte – da hat Susan vermutlich Hoffnung geschöpft. Das hätte nun endlich eine spannende Geschichte werden können: Das Knacken der brennenden Äste, fallende Bäume, angstverzerrte Gesichter angesichts der lodernden Flammen. Unsere Gruppe eingeschlossen von einer Feuersbrunst in der sibirischen Wildnis. Unrettbar verloren oder doch wenigstens nur mit letzter Anstrengung gerettet. Ja, das wäre ein Knüller gewesen – nur wurde da nichts draus. Waldbrand ist im Zabaikalski-Nationalpark zwar ein Dauerthema. Wir durchquerten Gebiete, in denen das Buschfeuer den Einsatz der Heckenscheren für längere Zeit überflüssig macht. Aber wir blieben verschont. Auch wenn der Wind ab und zu ein paar Aschepartikel zu uns trug so war der Brandherd doch sehr weit entfernt.

Nicht einmal mit richtigen Wildtieren kamen wir in Kontakt. Die Bären suchten stets das Weite wenn sie uns nahen hörten. So liessen sie uns nichts ausser ihrem Bärendreck der mal mehr und mal weniger frisch war. Und die Giftschlange – eine Halysotter – die Guido gefangen hatte biss ihn ja nur in den Finger. Und weil er Lederhandschuhe trug beeindruckte ihn das wenig...

In diesem Stil ging es weiter. Das Essen – von Eliza grundsätzlich mit dem Prädikat "delicious" versehen – bot keinen Konfliktstoff (vielleicht waren wir einfach stets hungrig genug?!). Nicht einmal als Mario die Kascha richtig voll anbrennen liess, zogen die anderen Campteilnehmer Lynchjustiz in Betracht. Wer Hunger hatte ass die Kascha trotzdem und versuchte den Brandgeschmack mit Zucker zu übertönen (was allerdings nicht gelang). Die anderen verzichteten auf das Frühstück und hofften auf bessere Zeiten (die kurz darauf auch eintrafen). Selbst das Wetter war nach dem Motto Friede, Freude, Eierkuchen ganz auf schön eingestellt – es regnete während der zwei Wochen ein Einziges Mal und das auch nur eineinhalb Stunden. Organisatorisch klappte alles Bestens. Wenn man davon absieht, dass das Schiff einen halben Tag später kam als erwartet. Und dass wir den Kleinbus, der uns nach Ust-Bargusin zurückfuhr, anschieben mussten war ja wirklich ein lächerlicher Peanuts der unsere Laune nur noch weiter hob, statt senkte. Zumal es uns mit einigen Tricks auch noch gelang, das Gepäck vor dem Herausfallen aus dem Bus zu bewahren.

Auch den Gefallen, dass wir Alten (Guido und ich liegen hart an der für dieses Camp zulässigen Alterslimite) vielleicht kollabieren würden, taten wir unserer Reporterin nicht. So ein kleiner Herzstillstand, ein Anflug von Altershypertonie oder doch zumindest ein schlappes Zusammenbrechen mit zittrigen Knien hätte zwar vom journalistischen Gesichtspunkt schon was hergegeben. Aber Guido spielte hier nicht mit. Im Gegenteil: Er erhielt den Übernamen "Chipmunk" (Streifenhörnchen) weil er auch nach dem anstrengendsten Tag immer noch genügend Energie hatte um zum Fotografieren auf Bäume zu klettern. Der "Chipmunk" lief sogar manche Strecke mehrmals – erst mit seinem eigenen Rucksack und dann noch mit dem Gepäck eines Anderen. Na und über mich, die ich sozusagen die Grossmutti in der Gruppe war, würde Susan ja wohl nichts Negatives schreiben. Wo ich doch dafür gesorgt habe, dass es zur kulinarischen Auflockerung immer wieder mal ein Pilzgericht gab… Liebe ging doch schon immer durch den Magen, oder?

Ganz so schlimm war's doch nicht
A propos Essen: Jetzt erinnere ich mich wieder daran, dass Susan 6 Kilo "Konfektui" geladen hatte, also Bonbons. Damit sass sie sozusagen an der Quelle, was für eine süssigkeitsliebende Person (wie sie) ein nicht zu unterschätzender Vorteil war. Ausserdem wurde ihr Rucksack damit jeden Tag leichter: Bonbons wurde sie nämlich immer los. Wenn ich da an meine Zuladung denke: Bis zum vierten Tag konnte ich lediglich ein Päckchen Lorbeerblätter und eine Tube Senf an die Gruppenküche abgeben. Ausserdem, auch das muss mal gesagt sein, gehörte Susan neben Igor II zu den beiden Geburtstagskindern in der Gruppe. Und die bekamen – unglaublich aber wahr! – eine echte, selbstgemachte, verzierte Mehrschichten-Creme-Torte am Lagerfeuer serviert! Ganz so schlimm ging es Susan also nicht. Schon gar nicht, wenn ich dran denke, was sie sonst noch zum Geburtstag erhalten hat: Eine Schiffsrundfahrt! Wer von Euch, liebe Leserschaft, wurde schon jemals in seinem Leben von einem Schiff zu einer Geburtstags-Rundfahrt durch eine der schönsten Buchten des Baikalsees abgeholt? Na?

Je länger ich mir das überlege, desto mehr komme ich zum Schluss, dass es Susan eigentlich ganz gut hatte. Wirklich schlimm dran bin doch letztlich nur ich, die ich den Leuten von Baikalplan versprochen habe einen Bericht übers Camp abzuliefern. Was soll ich denn nun schreiben? Einfach nur: "Es war super!"? Das trifft zwar zu, ist aber doch ein wenig gar bescheiden und irgendwie nicht richtig vollständig. Die schweizerische Variante: "s'sisch uhuerageil gsi" würden sie in deutschen Landen nicht verstehen und "Megalässig" find ich schon ziemlich abgedroschen. Na, eigentlich kann mir das egal sein. Für uns waren es jedenfalls die schönsten Ferien seit Jahren. Auch oder vielleicht gerade weil es anstrengend war. Falls man dieses Camp überhaupt beschreiben kann, dann vielleicht noch am ehesten mit: "Es war Superduppperoberaffenmegageilwahnsinnsschön!!!"

P.S. : Für diejenigen, die dabei waren: das meine ich jetzt ohne DOCH und ODER...!

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