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Camp 11 in Taksimo vom 09.08. - 21.08.2004 "Ich hätte nicht gedacht, dass Russland so russisch ist."

von Katja Doose

Unsere Zugfahrt war so, wie ich sie mir schon immer vorgestellt habe: unglaublich lang und trotz der vielen Zeitzonen irgendwie zeitlos.
Die Uhr war auch das erste Utensil, das sich sofort ganz unten im Rucksack vergraben hatte. Von nun an wollten wir nach uns nur noch unserem eigenen Rhythmus und dem Sibiriens richten, was uns erstaunlich gut gelang.
Von einem schwulen, verirrten Mongolen bis zu Männern, die an fast jeder Station etwas kauften und immer runder wurden war wirklich alles mit dabei. Zum Ende der Zugfahrt schlossen wir sogar so etwas wie Freundschaft mit der Provodnitza, die anfangs niemandem gut gesinnt war. Aber es erwies sich dann doch als möglich ihr ein Lächeln abzugewinnen. Für uns Schwachblasigen war das größte Desaster dieser 4-tägigen Zugfahrt, die Schliesszeiten der Toilette. Und da man während der Fahrt ohnehin nichts weiter zu tun hat, als ständig an einer Tasse Tee zu nippen, kamen wir nicht selten in brenzlige Grenzsituationen.
Am dritten Tag merkte ich schon, wie es mir immer schwerer fiel auf das Bett, welches oben war, zu springen. Ich befürchtete argen Muskelschwund und fragte mich ernsthaft, wie ich denn nun einen Spaten anfassen soll, wenn ich bereits Probleme habe, in mein Bett zu kommen.

Die vereinzelten 20 Minuten Aufenthalte des Zuges dienten eher der Piroschkibesorgung, als dem Frühsport. Wider aller Erwartungen war es dann bei der Ankunft an Tag 4 kein großartiges Problem den Rucksack aufzusetzen und sich auf die Suche nach einem rosafarbenen Hotel in der liebenswerten Stadt Takismo, 412 km östlich vom Baikalsee zu machen

Hier also sollte unser Projekt sein. Oder ist das nur der Treffpunkt? Waren vielleicht noch andere Freiwillige in unserem Zug? Schließlich fährt der Zug nicht alle Tage und morgen früh um 10 sollen wir doch im Tourismusbüro erscheinen. Ein bisschen seltsam war das schon. Aber wir wollten uns erst einmal um eine Unterkunft kümmern und dann ein kühles Bierchen im stillstehenden Hotelbett genießen. Von Aridana, dem Head vom BBT wussten wir, dass wir in diesem schon erwähnten rosafarbenen Hotel nächtigen sollen und dass es nicht weit vom Bahnhof entfernt sein soll. Nur leider hatte ich das Gefühl, dass meine Russichkentnisse uns hier nicht weiterbringen, sondern, dass, wie überall in Russland, raue, ungehobelte Anfrage an den Tag gelegt werden müssen, wenn man eine hilfreiche Antwort erwartet. Also machten wir uns auf die Suche. Da es rosa war, stellte das Finden kein großes Problem dar und die Rezeptionisten empfingen uns nachdem sie mit den vorwiegend männlichen Hotelgästen ausgeflirtet hatten auch mit freundlicheren Worten.

"Ich hätte nicht gedacht, dass Russland so russisch ist" fiel Naemi als erstes zu unserem, nach nun 4-tägiger Reise, ersehntem Zimmer ein. Es erinnerte mich an ein stark heruntergekommenes Zimmer im Cottbusser Studentenwohnheim und war nicht weiter schlimm. Aber es war immerhin Naemis erster richtiger Russlandeindruck. 4 Tage in einem fast 1.Klasse Abteil der Transsib zählen nicht.
Das Bier wurde genossen, die Haut geschrubbt und das Bett bezogen. Auch wenn das Einschlafen aufgrund des fehlenden tadam-tadam tadam-tadam nicht so recht klappen wollte, erholten wir uns ein wenig und wurden am nächsten Morgen von einem eisigen Anblick begrüßt: Schnee auf den Bergspitzen. (Oje, und ich hatte Naemi noch empfohlen, ihre Jeans in Moskau zu lassen. Die trocknen so lange und überhaupt seinen sie total unpraktisch für unsere Zwecke. ....aber dafür warm, ging ihr wahrscheinlich durch den Kopf.)

Unter abenteuerlichem Leichtsinn stiegen wir in ein bereits mit 3 Männern belegtes Taxi und schickten es zum Touristenbüro der Stadt. Wir befürchteten bereits, dass er damit nichts anfangen kann. Dennoch machte er sich mit uns erfolgreich auf die Suche. Und weil er auch Verwandte in Deutschland hat, ging die Fahrt aufs Haus. Larissa empfing uns an der Haustür und wusste sofort, wer wir sind, wobei uns regelrecht ein Stein vom Herzen fiel. Denn wirklich sicher, ob wir hier am richtigen Ort sind, zur richtigen Zeit, waren wir uns bis zu diesem Moment nicht.

Natürlich gab es erst einmal Tee, Brot und Käse und viele Fragen unser- und ihrerseits. Wie es aussah, waren wir die ersten und sie wüssten nicht, wann die anderen kommen und wer denn überhaupt kommt. Irgendeine Olga wird gleich auftauchen und uns mehr erzählen können. Als wir ihnen dann erzählten, dass wir gehört haben, 2 Männer seien schon abgesprungen, guckten sie sich verzweifelt an und beklagten, dass sie nun erst recht nicht wüssten, wie sie dieses Projekt mit so vielen Frauen durchführen sollen. Nach der Stärkung luden sie uns auf eine kleine Spritztour mit unserem von nun an privaten Schulbus ein. Die Landschaft außerhalb der BAM-Stadt war beeindruckend. Larissa und Anna deuteten auf die schneebedeckten Berge im Hintergrund und schlugen uns vor, dort morgen, wenn die anderen Freiwilligen kommen, hinzuwandern.

Nachts erschienen dann auch die restlichen Freiwilligen. Somit waren wir soweit komplett. Unser Team bestand nun aus 6 russischen Helfern, einer Russin, die schon ihr halbes Leben in Amerika lebt, dem Busfahrer Kolja, den 3 Organisatoren aus dem Tourismusbüro, einem amerikanischen und einem russischen Brigadier und aus uns 3 Deutschen.
Aufgrund der Wetterbedingungen stand nun noch zur Debatte, ob wir jede Nacht in den Zelten schlafen werden oder ab und zu zum Tourismuszentrum zurückkehren sollten. Aber da wir alle genau dafür hergekommen waren, brauchte man uns nicht 2 Mal fragen. Ein Banjatag in der Stadt war dennoch schon geplant.

Das Projekt sollte 20 km außerhalb Taksimos stattfinden und es ein 5 km langer Lehrpfad für die Kinder Taksimos zu einer 3000 Jahre alten Höhle ausgebaut werden. Als wir dort ankamen, stand dort bereits ein hölzernes Pavillon und ein geniales Holzklo. Wir machten uns bald daran unsere Zelte aufzubauen, was sich als nicht so einfach auf dem steinigen Untergrund erwies und natürlich Wasser für unseren ersten Tee im Camp zu kochen.
Wir bauten noch Sitzbänke für die Feuerstelle und anderes um unser Leben für die nächsten 2 Wochen dort so wohnlich wie möglich zu gestalten.

Abends saßen wir noch am Lagerfeuer, wo uns Zhenya, der Brigadier, in die Regeln der Werkzeugkunde einwies und alle dazu brachte sich kurz oder lang vorzustellen. Auffällig war, dass Russen offensichtlich ein Talent zum Redehalten haben, da deren Selbstbeschreibungen mindestens doppelt so lange dauerten als die unseren.

Der nächste Tag gestaltete sich nicht ganz so erfolgreich, wie wir uns das vorgestellt hatten. Verständlicher Weise wollten alle an die Arbeit gehen, aber durch den Tag zogen sich immer wieder Regenschauer, die uns eher zum Teetrinken, als zum Handanlegen animierten. Die nächsten Tage verliefen dann schon eher nach Plan.

Um 7 mussten die 2 am Vorabend zum Dienst Erkorenen aufstehen, um für die Restlichen Frühstück zu kochen. Es gab meist Haferflockenbrei, auch Kascha genannt oder sehr zu meiner persönlichen Freude, Buchweizengries, Gretschka genannt. Dazu Tee und nach Belieben Süßigkeiten. Das gleich vorneweg zum Thema Essen: Es hat manchmal schon an einigem gefehlt, aber woran es nie mangelte, waren Tee und Süßigkeiten. Der Bus und einige andere fuhren ab und zu in die Stadt um Nahrungsmittel zu kaufen, die wir dann im dafür vorgesehenen Essenszelt lagerten.

Um 9 ging es an die Arbeit. Zhenya teilte uns in Gruppen ein, die jeweils einen Abschnitt bearbeiten sollten. Im unteren Stück des Weges waren keine Tierspuren oder ähnliches vorhanden. Wir begannen also bei Null. Eine Gruppe harkte, hackte, schnitt und buddelte und die andere ging den Weg abstecken, der sich dann im Laufe des Projekts noch einige Male veränderte.

Die Arbeit war streckenweise anstrengend und es fehlte zunächst an motivierenden Ergebnissen. Nachdem die Strecke soweit freigeharkt war, fingen wir an Birkenstämme zu schälen, die Treppenstufen dienen sollten oder einfach nur als Wegbegrenzung. Der erste Teil des Weges befand sich auf einer starken Steigung, was die Sache etwas kompliziert machte. Nach etwas Übung hatten wir jedoch die Tricks raus und der erste Abschnitt war abgeschlossen.

Nun ging es an den 2.Teil, der nahe der Höhle gelegen war. Die morgendlichen Wanderung dorthin, machte uns schon zu schaffen, aber da das Wetter ab ungefähr dem 2.Tag mitspielte, konnte man die Aussichten genießen und ab und zu einfach mal am Hang liegen bleiben und den anderen beim Arbeiten zusehen.

Mittag gab es dann jedenfalls gegen 14 Uhr. Ich weiß nicht, ob es daran lag, dass Zhenya durch seinen Beruf als Touristenführer viel mit Deutschen zusammen war, aber Essen musste immer pünktlich auf dem Tisch stehen.
Die jeweils Auserkorenen Diensthabenden blieben den gesamten Tag beim Lager, bewachten es, schnippelten Gemüse, hielten das Feuer in Schach und waren hauptsächlich mit Essenkochen beschäftigt.

Wir hatten das Glück eine lebende Juke-Box namens Zhenya mit uns zu führen. Es gab kaum einen Abend, an dem er nicht seine Gitarre aus dem nach Tunfisch riechenden Essenszelt holte und uns was spielte. Das Besondere ist nun, dass ihm nie die Lieder ausgingen. Man könnte ja annehmen, dass sich nach einigen gemeinsamen Abenden die Lieder wiederholen und man dann nach dem 5. Mal endlich auch mitsingen kann. Aber dem war nicht so. Zhenya konnte fast alles von der russischen Rockband Kino über Nick Cave bis hin zu Element of Crime und sogar das deutsche Trinklied über die alten Germanen fehlte nicht in seinem Repertoire.
Am meisten in Erinnerung ist uns wohl die Burjatische Hymne geblieben, die wahrscheinlich schönste, die ich kenne.

Zur Belohnung für unsere Arbeit planten Anna Vladimirnova, die Chefin des Tourismuszentrums, und Kolja unser fantastischer Busfahrer einen Ausflug zum Vitim, den größten Fluss Burjatiens. Dieser war eigentlich für die Mitte unseres Projekts gedacht, ging aber schief, weil der Bus eine Panne hatte. So beschlossen wir ihn an das Ende unserer Arbeit in Taksimo zu hängen und ihn als krönenden Abschluss zu betrachten.
Ein bisschen wehmütig war uns schon, als wir die Zelte abbauten, die schöne Plastiktischdecke vom Tisch entfernten und alle Werkzeuge in der Kiste verstauten. Halt! Das fanden wir nicht wirklich bedauernswert. Es war zwar schön, aber die Arbeit konnte nun ruhig ein wenig ruhen.
Die Fahrt zum Vitim war dank unseres Crazy Koljas ein einmaliges Erlebnis, das trotz unglaublich gefährlichen Brückenüberquerungen, ja bis hin zu Flussüberfahrten, ein Riesenspass war. Es kam nicht selten vor, dass Allemann aussteigen mussten, weil die Gefahr, dass der Bus mitsamt Insassen die Brücke hinabstürzt, zu groß war. Koljas heldenhafte Opferbereitschaft wurde auch jedesmal mit heftigem Applaus und Zurufen gelobt.
Dort angekommen, konnten wir unser Glück kaum glauben. Es war einfach atemberaubend schön. Leer. Weit. Still. Geheimnisvoll.
Wir konnten in einem Haus übernachten, das Kolja über einen Freund organisiert hatte, in die Banja gehen und zum ersten Mal seit einiger Zeit so richtig entspannen. Vor allem aber konnten wir am Abend mit dem Gedanken ins Bett gehen, morgen früh nicht durch lautes "Breeeeaaaakfaaaast" Gerufe aufgeweckt zu werden, um uns danach an die Arbeit machen zu müssen. Offensichtlich waren wir urlaubsreif.

Während die Männerfraktion noch bis in die frühen Morgenstunden auf allen ihnen auffindbaren Gegenständen musizierten, gingen wir nach Banja und Massage früh schlafen. Der nächste Morgen brachte leider etwas Regen und wie so oft während unseres Aufenthaltes dort, wussten wir eigentlich nicht so recht was uns erwartete. Mit der Zeit gewöhnten wir uns allerdings daran und fanden sogar Gefallen an dem Fakt, dass immerwieder, überall Überraschungen auf uns lauerten.
Nun, diese ist ihnen auf jeden Fall außerordentlich gut gelungen. Wir machten uns noch schlaftrunken ohne Frühstück auf den Weg zum Flussufer, um dort auf den Bootsmann zu warten, der uns 10 Minuten flussaufwärts an eine wohl wunderschöne Stelle bringen sollte.
Schon die Fahrt dorthin an den Felsenwänden vorbei, den verregneten Himmel mit der sich durchkämpfenden Sonne, war ein absolutes Naturereignis. Dazu kam noch der Gedanke, dass hier weit und breit nur wenige Menschenseelen sind.
Das Stück Flussufer, zu dem er uns brachte, war zwar steinig und wirkte auf den ersten Blick alles andere als kuschlig, aber wenn man die Steine in die richtige Stellung brachte, konnte daraus auch eine gemütliches Fleckchen werden. Jörg zog auch sogleich los, um uns einen Donnerbalken zu bauen. Hier wollten wir also die nächsten 6 oder 7 Stunden einfach nur verbringen.
Die Rückfahrt nach Taksimo war noch abenteuerlicher als die Hinfahrt, da über Nacht viel Regen gefallen war, aber wir kamen heil an und ließen Kolja erneut dreimal hochleben. Den letzten Tag suhlten wir uns am Strand des durch Taksimo fliesenden Flusses, ließen uns Starij Melnik und Sucharikis schmecken und dachten daran dort sesshaft zu werden. Nachdem wir noch ein gemeinsames Abendbrot eingenommen hatten, überreichten uns die Frauen des Zentrums zum Dank selbstgehäkelte Gürtel, die wohl auf Reisen Glück bringen sollen, bemalte Steine und Urkunden. Wir waren alle sehr gerührt.

Die wirklich traurigen Szenen kamen dann erst am Bahnhof. Noch ein letztes Gruppenfoto, ein letzter Drücker, hier und da ein Kuss, ernste Blicke und dann...... Do svidanija.

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